Historischer Himmel: Halbes Jahrhundert Potsdamer Sonnenforschung digital
Physik-News vom 23.09.2020
Das großangelegte Digitalisierungsprojekt APPLAUSE stellt in seiner neuen Datenveröffentlichung neben historischen Himmelsbeobachtungen verschiedener Teleskope nun auch tausende fotografische Aufnahmen der Sonne online zur Verfügung, die zwischen 1943 und 1991 am Sonnenobservatorium Einsteinturm in Potsdam entstanden sind.
Zum Zeitpunkt seiner Fertigstellung 1924 war der Einsteinturm auf dem Potsdamer Telegrafenberg das modernste Sonnenteleskop Europas. In den Jahren 1943 bis 1991 bannte es das Abbild der Sonnenscheibe auf mehr als 3.500 Fotoplatten aus Glas, die das Leibniz-Institut für Astrophysik Potsdam (AIP) nun digitalisiert und aufbereitet öffentlich zur Verfügung stellt.
Publikation:
Pal, P., Verma, M., Rendtel, J., González Manrique, S.J., Enke, H., Denker, C.
Solar Observatory Einstein Tower — Data Release of the Digitized Solar Full-disk Photographic Plate Archive
Astronomische Nachrichten, in press
Im Rahmen eines Praktikums am AIP übernahmen Schülerinnen und Schüler aus Potsdam und Berlin das Scannen der Aufnahmen. Im Anschluss kalibrierten Sonnenphysiker des AIP die Bilder, wobei sie unter anderem den Sonnenradius am Himmel genau vermaßen, und versahen sie mit Metadaten wie Informationen zum Zeitpunkt der Beobachtungen, den vorherrschenden Beobachtungsbedingungen sowie der Belichtungszeit. Zudem korrigierten sie atmosphärische Effekte und verstärkten Kontraste. Die so in verbesserter Qualität gespeicherten Bilder sind nun für die Wissenschaft und die breite Öffentlichkeit in einer Datenbank frei verfügbar.
In der Sonnenphysik werden diese historischen Daten benötigt, um Lücken in jahrzehnte- oder sogar jahrhundertelangen Zeitreihen zu füllen und so Schwankungen der Sonnenaktivität während des 11-jährigen Sonnenflecken- sowie des 22-jährigen Magnetzyklus besser zu verstehen. Die Aufnahmen der gesamten Sonnenscheibe am Einsteinturm begannen 1943 und ergänzten bis dahin verwendete Zeichnungen der Sonnenoberfläche. Ziel war die genaue Vermessung von Sonnenflecken, um damit den Aktivitätszyklus der Sonne nachzuverfolgen. Ab Mitte der 1950er Jahre kam zusätzlich ein Spektrograph zur Bestimmung der Stärke des Magnetfelds von Sonnenflecken zum Einsatz, um Details zu deren Komplexität zu erforschen. Magnetfelder sind in Sonnenflecken konzentriert und unterliegen dort starken und oft schnellen Veränderungen. Aufnahmen der gesamten sichtbaren Sonnenoberfläche erlauben die Zuordnung der im Detail studierten Magnetfelder zu Prozessen, die außerhalb des Messgebietes ablaufen.
Die meisten der 3.500 Aufnahmen entstanden ab 1943 bis in die späten 60er Jahre mit etwa 128 Bildern pro Jahr. Nach 1970 fanden mit durchschnittlich 22 Bildern pro Jahr nur noch sporadisch Sonnenbeobachtungen statt. Diese Schwankungen in der knapp 50-jährigen Serie haben verschiedene Ursachen: Am Ende des Zweiten Weltkriegs mussten die Beobachtungen wegen Bombenschäden pausieren, ebenso erschwerte die mangelnde Verfügbarkeit von Fotoplatten die Aufnahmen in den folgenden Jahren. Waren aufgrund fehlender Sonnenaktivität keine Sonnenflecken zu sehen, denen das Hauptinteresse der Sonnenforschung galt, verzichtete man auf Aufnahmen. Auch Änderungen in der Priorität von wissenschaftlichen Zielsetzungen führten zu einem Rückgang. Nicht zuletzt sorgten schlechtes Wetter oder Beobachtungsbedingungen für Unterbrechungen in der Beobachtungsreihe.
Diese Newsmeldung wurde mit Material des Leibniz-Instituts für Astrophysik Potsdam via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.